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Konsumverzicht zum Schutz der Umwelt und für persönliche Freiheit

Es gibt bestimmt größere und vollere Kleiderschränke als meinen. Trotzdem ist mir schon seit einigen Jahren bewusst, dass ich zu viel Zeit und Geld in Mode investiere. Dieses Jahr habe ich mir vorgenommen, kein einziges Kleidungsstück zu kaufen. Damit kultiviere ich yogische Geisteshaltungen wie Enthaltsamkeit, Gewaltlosigkeit, Dankbarkeit und Wertschätzung. Das schont nicht nur die Umwelt und meinen Geldbeutel, sondern ich habe wieder mehr Zeit für die wirklich schönen Dinge im Leben. Und das fühlt sich unheimlich befreiend an.

Übermäßiger Konsum schafft Probleme

Als Teenager habe ich auf Mutters Singer Nähmaschine mit Fußantrieb meine Jeanshosen enger genäht. Daraus entstand die Leidenschaft nach Burda und Vogue Schnittmustern von Hosen über Kleider bis zu Kostümjacken wirklich alles zu nähen. Mein Berufsleben habe ich bei einer Hutmacherin und anschließend in einer Herrenschneiderei gestartet. Ich habe mich lange für schöne Stoffe, raffinierte Schnitte und die passenden Accessoires interessiert. Und heute? Unübersehbare Trends, ein Überangebot an schlechter Qualität sowie das Wissen um die ethische, soziale und ökologische Problematik haben mir die Lust auf Mode verleidet.

Großkonzerne, die in Niedriglohnländer wie China, Bangladesch und der Türkei produzieren, haben heimische Produktionsbetriebe in den Konkurs getrieben, weil sie Kleidungsstücke für wenige Euros anbieten. Wirkliche Trends sind kaum noch zu erkennen, denn der Markt wird pro Saison mit mehreren Kollektionen überschwemmt. Fast Fashion nennt man diese beschleunigte Wertschöpfungskette, die weitreichende Folgen für die Umwelt hat. Im 2017 veröffentlichten Bericht „Die Modebranche am Scheideweg“ kritisiert Greenpeace verunreinigte Abwässer, giftige Chemikalien, kranke Textilarbeiterinnen, soziales Elend und Berge von Bekleidungsmüll.

Die Folgen unseres Konsumverhaltens

Die Wünsche des Menschen sind unbegrenzt. Die Mittel, die zur Verfügung stehen, um diese Bedürfnisse zu befriedigen, sind jedoch nur begrenzt verfügbar. Eigentlich sollten wir mit dem ökonomischem Prinzip unsere Bedürfnisse und die vorhandenen Mittel in ein effizientes Verhältnis zueinander bringen. Aber weder die Industrie noch die Konsumenten handeln nach diesem Wirtschaftlichkeitsprinzip. Wolle, Leder und Baumwolle sind natürliche Ressourcen. Sie zu erhalten, ihren Einsatz und Verbrauch zu senken ist unser aller Aufgabe zum Schutz von Umwelt, Tieren und zum Nutzen für künftige Generationen.

Die Organisation Global Footprint Network berechnet den Earth Overshoot Day mithilfe des Ökologischen Fußabdrucks. Dieser ist ein Indikator für den Ressourcenverbrauch und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Umwelt. Am 2. August 2017 hatte die Menschheit so viel verbraucht, wie die Erde im ganzen Jahr erneuern kann. Im Vorjahr stand der Earth Overshoot Day noch sechs Tage später im Kalender. Der deutsche Overshoot Day war bereits am 24. April. Wenn die gesamte Weltbevölkerung auf dem Konsumniveau von Deutschland leben würde, wären mehr als 3 Erden nötig!

Die Macht der Bedürfnisse

Wir sind überzeugt, dass unsere Bedürfnisse der Ausdruck unseres eigenen Wollens sind. Aber in Wahrheit sind sie das Einfallstor der Macht, welche die Produzenten über uns ausüben. Marketing und Werbe-Experten pflanzen mit psychologischen Tricks immer neue Wünsche in unsere Köpfe. Schöne, freudestrahlende Menschen machen uns glauben: „Das brauchst du noch, um vollkommener, beliebter und damit glücklicher zu werden“. Das treibt den Umsatz in die Höhe, denn unsere Bedürfnisse wachsen mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.

Marianne Gronemeyer schreibt in ihrem Buch „Die Macht der Bedürfnisse“: "Was den Konsumzwang so verderblich macht und den (falschen) Bedürfnissen ihre teuflische Macht verleiht, ist nicht nur der Umstand, dass Menschen über Gebühr mit Unnützem und Überflüssigem in Betrieb gehalten werden; sondern, dass sie dafür ihre Seele verkaufen. Die 'falschen' Bedürfnisse werden nicht nur angedreht, um die Produktionsmaschinerie auf Hochtouren zu halten, sondern um die 'wahren' Bedürfnisse auszurotten.“

Die Yoga Philosophie bietet Auswege

Die Menschen wussten schon vor 5000 Jahren, dass unreflektiertes Handeln ins Verderben führt. Spirituelle Praktiken lehren uns Geisteshaltungen wie Enthaltsamkeit, Gewaltlosigkeit, Sinneskontrolle und Verhaftungslosigkeit zu kultivieren. Dabei geht es nicht um Gebote, sondern um geistige Haltungen, die tief in unserem Bewusstsein eingebunden sind. Es reicht nicht, diese Einstellungen intellektuell zu verstehen, wir müssen sie aus unserer Mitte heraus entwickeln. Wenn wir die Weisheit des Herzen mit Meditation und Achtsamkeitsübungen stärken, stellen wir unserem Ego einen starken Partner zur Seite.

Die folgenden vier Handlungsweisen helfen dir, aus dem Hamsterrad des Konsums zu entkommen:

Pratyahara

Sinnesobjekte lenken unsere Aufmerksamkeit und Energie weg von uns, hin zu den Objekten. Unser Bewusstsein befindet sich dann außerhalb unseres Körpers. Wir sind nicht mehr ganz wir selbst. Je mehr äußere Reize es gibt, desto weniger sind wir Herr unserer Gedanken, Emotionen und Handlungen. Pratyahara bedeutet Disziplinierung der Sinne Sehen, Hören, Schmecken und Riechen. Wenn wir den Geist nach innen richten, können wir äußere Einflüsse ausblenden. Wir üben diesen Rückzug der Sinne, indem wir unsere Atmung oder anderer Körperwahrnehmung bewusst wahrnehmen. Die Sinne sollen dabei nicht beschränkt werden. Im Gegenteil: der Geist wird zur Wahrnehmung von Feinheiten geschult, die den Sinnen sonst verborgen blieben.

Ahimsa

Wenn die Not einer Näherin in Bangladesch ausgenutzt wird, um Profit zu machen, ist das im yogischen Sinn ausgeübte Gewalt (himsa). Wir befriedigen unser Bedürfnis, ein Schnäppchen zu machen auf Kosten anderer. Diese Gewalt ist Ausdruck eines Aspektes unseres Alltagsbewusstseins: Raga (Mögen, Verlangen, Gier). Die Gier drängt den Menschen dazu, seine Wünsche mit Gewalt zu erfüllen. Wenn wir jedoch im Sinne von Ahimsa (Gewaltlosigkeit) Liebe und Mitgefühl kultivieren, ist es uns unmöglich, anderen Wesen Gewalt anzutun. Durch Selbstreflexion entwickeln wir Empathie für andere Menschen und sind bereit, eine persönliche globale Verantwortung zu entwickeln. Das Gefühl der Verbundenheit mit anderen Menschen bereitet uns übrigens mehr Freude als die kurzfristige Befriedigung ein günstiges T-Shirt erworben zu haben.

Brahmacharya

Dieser Verhaltenskodex wird traditionell mit Keuschheit übersetzt. In unserem modernen Leben können wir das Gelübde der Enthaltsamkeit auf unser Konsumverhalten anwenden: indem wir unser Verlangen (Raga) nach materiellen Gütern zügeln. Naturvölker glauben, dass jemand der mehr Wild jagt, als er und die Sippe verzehren können, früher oder später krank wird. Er hat sich willentlich über ein Naturgesetz hinweggesetzt. Wenn ich mehr nehme als ich brauche, entsteht ein Ungleichgewicht unter dem ich irgendwann selber leide. Wer glaubt, sein Glück liege im Überfluss, macht sich zum Sklaven des Konsums. Statt Zeit, Geld und Energie aufzuwenden, um immer mehr zu erlangen, sollten wir uns mit dem zufrieden geben, was wir zum Leben tatsächlich brauchen.

Aparigraha

Die Werbung macht uns glauben, wir frei sind, wenn wir alles kaufen können, was wir uns wünschen. Besitz belastet aber und macht unfrei. Zum einen, weil wir nie alles bekommen können, was wir uns wünschen, da die Gier nach mehr unersättlich wird. Und je mehr wir besitzen, desto mehr Angst haben wir, es wieder zu verlieren. Und verlieren werden wir es unweigerlich, denn wirklich ALLES in der materiellen Welt ist vergänglich. Aparigraha bedeutet so viel wie Nicht-Festhalten-Wollen oder Nicht-Gierig-Sein. Wir sollen loslassen und uns nicht mit den Dingen identifizieren. Wahre Freiheit besteht darin, etwas nicht zu tun, obwohl man es tun könnte. Man ist nicht verhaftet. Seitdem ich keine Kleidung mehr kaufe, verschwende ich keinen Gedanken an Shoppen. Werbung, die immer noch per Post oder Email kommt, landet gleich im Papierkorb. Ich bin frei!

Dankbarkeit

Die Qualität und Verarbeitung meiner selbstgenähten Kleider war hoch, so dass ich einige viele Jahre getragen habe. Die besten Stücke sind bis heute in Mottenpapier sorgfältig konserviert. Weil ich mir viel Mühe damit gemacht habe, sind sie mir viel Wert. Baumwolle wird gepflanzt, bewässert und geerntet. Nach dem Waschen wird sie zu einem Faden verarbeitet aus dem ein Stoff gewebt wird, der dann noch veredelt und gefärbt wird. Ein Designer entwirft den Schnitt und die Näherin stellt das Kleidungsstück her, das verpackt und verschickt wird. Im Geschäft hängt die Verkäuferin das T-Shirt auf einen Kleiderständer. Wenn wir uns bewusst machen, wie viele Personen an der Herstellung eines T-Shirts beteiligt waren, wie viel Arbeit und Ressourcen darin stecken, muss uns klar werden, dass all dies nicht für 5,99 EUR möglich ist. Diese Achtsamkeitstechnik praktiziert man ähnlich wie ein Tischgebet. Wir machen uns bewusst, dass die Dinge in unserem Leben nicht selbstverständlich und kostenlos sind. Wir danken der Natur für die Rohstoffe und all den Menschen für ihre Mühe.

Weniger ist mehr

Es ist erwiesen, dass mehr Besitz nicht glücklicher macht. Glück, Freude, Freiheit sind Gefühle, die in uns entstehen. Die Buddhisten glauben, dass die äußere Welt mit all ihren Sinnesobjekten keines dieser Gefühle langfristig erzeugen kann. Nur wenn wir Liebe, Mitgefühl, Dankbarkeit und Wertschätzung kultivieren – wenn wir uns selbst genug sind – können wir wahres Glück erfahren.

Kleidung schützt uns nicht nur vor Kälte und Hitze. Mode hat als Ausdrucksform die Menschheit schon immer bewegt und das wird sich nicht ändern. Aber es braucht keine 50 Paar Schuhe, fünf Winterjacken in verschiedenen Längen und Farben, 20 Hosen und unzählige T-Shirts. Wir können es wie die englische Modedesignerin Vivienne Westwood halten: Buy less, choose well, make it last.

(Claudia Dahnelt - Lotusblume Yoga & Ayurveda, Frankfurt, März 2018)