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Über den Sinn des Lebens – Vier Tage Schweigen und Meditieren

Mit Schloss Sommerswalde bei Berlin hat die International Kadampa Buddhist Union ein idyllisches Meditations-Zentrum umgeben von vielen Hektar Wald geschaffen. Das 126 Jahre alte Gebäudewird mit viel Eifer von Mitarbeitern und freiwilligen Helfern seit 2006 renoviert und liebevoll betrieben. Die Nonnen und Mönche von Tharpaland – so wird das imposante Herrenhaus auch genannt – lehren wie die Tradition des Mahayana-Buddhismus das alltäglichen Leben bereichern kann. An diesen Ort des Friedens habe ich mich mit 24 anderen Teilnehmern zurückgezogen, um schweigend tiefer in die Meditation einzusteigen.

Kommt der Geist zur Ruhe, finden wir innere Zufriedenheit

Die wesentliche Lehre des Kadampa-Buddhismus beruht darauf, positive Geisteszustände wie Mitgefühl und Klarheit zu entwickeln, um für sich selbst und andere wahrhaftes Glück zu erreichen. Buddha lehrte, wie man durch Beobachtung der eigenen Gedanken erkennt, welche Geisteshaltungen einem guttun und welche nicht. Das Hilfsmittel Mediation ist dabei die Technik, mit der wir unsere geistigen Fähigkeiten weiterentwickeln, um Qualitäten wie Liebe, Toleranz und Achtsamkeit zu stärken. Meditation nennt man auch den Zustand, wenn die geistigen Aktivtäten zur Ruhe kommen und wir gedanklich ganz präsent im gegenwärtigen Augenblick verweilen. Der Yogagelehrte Patanjali unterscheidet im 2000 Jahre alten Ursprungstext „Yoga Sutra“ das Zurückziehen und Beherrschen der Sinne (Pratyahara) auf welche die Zustände der Konzentration (Dharana) und der Vertiefung (Dhyana also Meditation) folgen. Den Stufen fünf bis sieben des achtgliedrigen Yogapfades folgt das Ziel des Yoga: Samadhi, die innere Zufriedenheit oder Erleuchtung. Meditation ist also auch Teil des Yogaweges.

In den Unterweisungen erklärt die Zentrumslehrerin Gen Devi, dass der Grund für all unsere Handlungen der Wunsch nach Glück ist. Die meisten Menschen suchen das Glück jedoch in äußeren materiellen Dingen. Da Glück aber ein emotionaler Geisteszustand ist, finden wir die Ursache nicht außerhalb des Geistes. Wenn wir wirklich glücklich und frei von Leiden sein wollen, müssen wir unseren Geist reinigen und unter Kontrolle bringen.Nur wenn der Geist ruhig und friedvoll ist, werden wir uns des Glückes gewahr. Ansonsten sind wir weiterhin Sklave unserer Gedanken.

Negative Gedanken verursachen Probleme

Im Alltag sind wir oft ausschließlich mit den äußeren Umständen beschäftig. Das Wetter ist zu warm oder zu kalt. Die Wohnung zu klein und zu laut. Der Job macht keinen Spaß mehr und ist schlecht bezahlt. Meditation und Schweigen schulen unsere Achtsamkeit, so dass wir egal bei welcher Tätigkeit mit einem Teil unserer Aufmerksamkeit bei uns bleiben. Wenn wir unseren Körper und Atem bewusst wahrnehmen, bleiben wir präsent im hier und jetzt. Dann erkennen wir, wenn aufgrund von Konditionierungen oder falschen Konzepten negative Gedanken aufkommen und können uns von diesen lösen.

Ich kam einen Tag früher in Sommerswalde an und schlief die erste Nacht bei offenen Fenster mit dem letzten Vogelgezwitscher und dem immer wieder angestimmten Froschkonzert ein. Die darauffolgende Nacht stellte ich fest, die Wand zum Nebenzimmer war so hellhörig, dass ich alles hören konnte: jeden Schritt, das Öffnen des Schranks und sogar ein wohliges Gähnen. Ich störte mich daran, dass die Nachbarin so viel Lärm machte. Gleichzeitig wunderte mich, warum der Vogelgesang und das Quaken der Frösche mich nicht störte. Mir wurde bewusst, dass beides nur Geräusche sind, aber mein Geist hatte in „angenehm“ und „nicht angenehm“ bewertet. Gen Devi sagt, wenn wir uns von negativen Gedanken lösen, können wir selbst sehr widrige Umstände gelassener hinnehmen. Ist unser Geist unruhig, weil wir Gedanken von Neid, Anhaftung oder gar Hass  in uns tragen, dann können die angenehmsten äußeren Umstände herrschen, aber wir werden trotzdem nicht zufrieden sein.

Obwohl wir sehr hart dafür arbeiten Glück zu finden, ist es schwer zu erreichen. Probleme tauchen hingegen von ganz alleine auf. Das liegt daran, dass die Evolution zu Zeiten der Säbelzahntiger in unseren Gehirnen die Tendenz zu negativen Gedanken veranlagt hat, um unser Überleben zu sichern. Heutzutage ist unser Leben jedoch selten wirklich in Gefahr. Wie die vollgepackte Tasche, die sich zu Hause noch leicht tragen lässt, aber mit jedem Schritt schwerer wird, werden auch negativen Gedanken, je länger wir sie mit uns herumtragen immer belastender. Gen Devi lehrt uns mit einer Meditation den Geist von negativen Gedanken zu klären. Wir sind nicht diese unangenehmen Gedanken. Sie sind Geisteszustände, die entstehen und wieder vergehen. Wir sollen uns vorstellen, dass unser Geist wie der Himmel ist: unglaublich weit und frei. Und all unsere Gedanken und geistige Geschäftigkeit sind wie Wolken. So wie sich Wolken im Himmel formen und wieder auflösen, so entstehen und vergehen Gedanken in unserem Geist. Wie bewölkt der Himmel auch sein mag, er bleibt eine unendliche blaue Weite und wenn die Wolken auseinandertreiben erscheint das klare Blau. In gleicher Weise bleibt der Geist, so beschäftigt er auch sein mag, klar, weit und unberührbar. Seine klare Natur offenbart sich, wenn die Gedanken sich legen. Diese Klarheit des Geistes ist unser Meditationsobjekt.

Negative Gedanken trüben unseren Blick auf die Realität

Um zu verbildlichen wie sehr wir uns von negativen Gedanken täuschen lassen, erzählt die Meditationslehrerin am nächsten Tag eine Geschichte. Eine Frau wundert sich immer wieder darüber, dass die frisch gewaschene Wäsche der Nachbarin noch so schmutzig ist. Es stellt sich heraus, dass sie die Wäsche durch das eigene verschmutzte Fenster gesehen hat. Schnell verurteilt man andere, wenn sie die Welt durch die eigene Brille wahrnehmen und übersieht, wie oft Konditionierungen auch die eigene Wahrnehmung beeinflussten. Laut Buddha ist die Hauptursache für unser Unglück, dass wir aus Gedanken von Verblendung wie Neid und Anhaftung handeln. Weil der Geist so stark ist und immer wieder negative Gedanken produziert, müssen positive Gedanken mittels Meditation bewusst kultiviert werden. Wissenschaftlich ist bereits bewiesen, dass eine regelmäßige Praxis das Gehirn nachhaltig umformt.

In der nächsten Unterweisung erfahren wir, das Ego erzeugt den negativen Gedanken wir seien als Individuum getrennt von der restlichen Welt. Aus dieser am Selbst festhaltenden Unwissenheit erfüllen wir unsere Bedürfnisse ohne Rücksicht auf andere, weil wir denken, es steht uns so zu. Wenn jedoch alle Menschen glücklich sein sollen, können wir unsere Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer befriedigen. Taten, Worte und Gedanken haben immer eine Auswirkung auf unser Umfeld. Wollen wir wirklich glücklich werden, können wir dies nicht nur für uns alleine erreichen.

Das Glück finden wir in den kleinen Dingen

In den letzten Jahrzehnten haben sich Wissen und Technik sprunghaft weiterentwickelt. Viele Menschen der westlichen Welt erleben infolgedessen einen erstaunlichen materiellen Wohlstand. Weil sie trotz des Überflusses nicht glücklicher sind, liegt der Verdacht nah, dass Glück nicht im Materiellen zu finden ist. Wir haben das alle schon hundert Mal gehört: das Glück findet man nur in sich selbst. Und trotzdem tun wir uns schwer, es dort zu finden. Buddha und andere kluge Menschen realisierten das schon vor vielen 1000 Jahren und haben Methoden wie Meditation und Yoga entwickelt, die uns bei der Suche helfen können.

Die himmlische Ruhe in Tharpaland habe ich nach einer Woche Berliner Geschäftigkeit (und dabei ist die Hauptstadt weitaus weniger hektisch als Frankfurt) sofort genossen. Laut dem renommierten Hirnforscher Wolf Singer, braucht unser Gehirn Ruhephasen, um all das, was wir erfahren, zu ordnen und zu sortieren. Dann wird Wichtiges von Unwichtigem getrennt und neu erlernte Inhalte werden in ihrer entsprechenden Assoziationsfelder eingebettet. In Sommerswalde hat man das Gefühl, alles sei zum Stillstand gekommen.

Das Meditieren und Schweigen haben meine Achtsamkeit gesteigert, so dass ich erst am nächsten Tag auf der Parkbank die Vögel, Frösche und Insekten nicht nur gehört habe, sondern auch gesehen. Zwischen den im Wind sich wiegenden Blättern springen winzig kleine Vögelchen unglaublich flink von Ast zu Ast. Picken hier und dort ein Insekt oder sagen dem Nachbarn „Hallo“. Der Waldboden wimmelt nur so von Ameisen und Insekten aller Arten, Größen und Farben, wenn man sich die Zeit nimmt genauer hinzuschauen. Plötzlich sieht man die kleinste Bewegung im Teich, wenn mal wieder ein Frosch ganz genüsslich vor sich hin quakt. Man schaut und staunt über das Wunder des Lebens und erfreut sich an seiner unglaublichen Fülle und Anmut. Und vermutlich zeigen sich Tiere und Natur erst in ihrer Schönheit, wenn der Mensch etwas von seiner gestressten, nervösen Energie loswurde.

Man wird sich bewusst, wie kostbar, selten und bedeutungsvoll unser Menschenleben ist. Pflanzen und Tiere haben aufgrund ihrer Beschränkungen nicht die Möglichkeit, den spirituellen Pfad zu verstehen oder zu praktizieren. Eine Blume steht auf der Wiese, leuchtet in ihren Farben und duftet verführerisch. Der Fisch schlängelt sich mit rechts links Bewegungen seiner Wirbelsäule durch den klaren kühlen Bach auf der Suche nach Nahrung. Weder die Blume noch der Fisch fragen sich jemals, was sie glücklich macht und ob sie nicht lieber etwas Anderes machen würden.

Als ich am letzten Morgen sehr früh mit einer Tasse Tee auf die Terrasse ging sah ich ein Reh im Park äsen. Als das Tier mich bemerkte sprang es erschreckt in den Wald und ich bemerkte, dass es auf drei Beinen davon humpelte, weil das vierte Bein verdreht vom Becken abstand. Wahrscheinlich war es angefahren worden. Ich war berührt und erstaunt zu gleich, das verletzte Tier zu sehen. Obwohl es sicher Schmerzen hat, lehrt die Kraft des Lebens es auf drei Beinen zu gehen und so als sei nichts passiert einfach weiterzumachen. Das Reh fragt nicht nach dem Sinn seiner Existenz, denn seine Bestimmung ist zu überleben und sich fortzupflanzen. Wir Menschen müssen unsere Bestimmung erst suchen, weil sie uns nicht von der Natur zugewiesen wurde. Das ist ein Privileg, aber auch eine Verpflichtung und manchmal eine Bürde.

Die Buddhisten glauben, dass spirituelle Weiterentwicklung der einzige Weg zu immerwährendem Glück ist. Der Mensch besitzt als einziges Lebewesen die Freiheit und Fähigkeiten, diesen zu beschreiten und deshalb macht nur er sich Gedanken über die Sinnhaftigkeit des Lebens. Wir können viele Dinge im Leben besitzen, aber selbst der reichste Mensch auf der Welt hat nur ein Leben. Und deshalb ist das Leben an sich wertvoller als alles andere. Wenn wir es dazu benutzen, spirituelle Selbstverwirklichung zu erlangen, finden wir inneres Glück und unser Dasein bekommt Bedeutung.

(Claudia Dahnelt - Lotusblume Yoga & Ayurveda, Frankfurt, Juni 2017)