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(An-)Erkenne deinen Selbstwert

Unser tiefsitzender Wunsch nach Anerkennung verleitet uns dazu, anderen um jeden Preis gefallen zu wollen.

Mein Berufsleben war vom ersten Tag an stressig. Ich glaubte nicht gut genug zu sein und hatte Angst, zu versagen. Trotzdem steckte in mir der Ehrgeiz, es allen zu beweisen. Ich strebte nach Anerkennung, um meinen geringen Selbstwert zu erhöhen. Die Abhängigkeit nach Aufmerksamkeit machte mich zum Gegenstück von Menschen, die sich in ihrer Großartigkeit darstellen, Bewunderung und Gehorsam einfordern. „Wenn ich alles perfekt mache, wird mein Chef/meine Chefin schon sehen, was ich wert bin“, dachte ich. Das Problem: weil beide Seiten aus einem Mangelgefühl heraus handeln, ist keine Anstrengung jemals gut genug. Das wir nicht gut genug sind, ist in unserem Denken und Handeln tief verwurzelt, denn im Christentum ist der Mensch ein ewiger Sünder. Leistung ist eine Prämisse unseres kapitalistischen Wirtschaftssystems, das vom Kalvinismus mitgeprägt wurde. Wir müssen immer mehr tun, um immer besser zu werden.

Heute ist mir mein Anteil an diesen belastenden Arbeitssituationen bewusst. Mit Achtsamkeitsübungen konnte ich meinen Selbstwert stärken, so dass ich nicht mehr auf die Anerkennung anderer angewiesen bin. Wirklich? Erst kürzlich dachte ich, bevor der Handwerker kommt, muss ich noch schnell die Küche putzen. Was soll der sonst von mir denken?!

Der psychologische Bauplan des Menschen

Jeder Mensch ist äußerlich betrachtet ein Unikum, aber unter der Benutzeroberfläche läuft bei uns allen das gleiche psychische Programm ab:

  • Wir wünschen uns Liebe, Bindung und Zugehörigkeit.
  • Gleichzeitig wünschen wir uns Autonomie und Kontrolle.
  • Wir möchten unseren Selbstwert steigern.
  • Wir möchten gute Gefühle erlangen und schlechte vermeiden.

Diese vier psychischen Grundbedürfnisse beeinflussen sich gegenseitig. Meist gerät eine gesunde Balance schon in der Kindheit aus dem Gleichgewicht. Für Kinder ist Liebe und Anerkennung der Eltern überlebenswichtig. Wenn die Eltern – aus einem eigenen Mangel heraus – diese an Benehmen und Leistung knüpfen, lernen wir früh, dass wir nur geliebt werden, wenn wir diese Bedingungen erfüllen.

Selbst als Erwachsene bedrücken uns alte Gedankenmuster: „Mit mir stimmt etwas nicht. Ich bin wertlos. Ich bin nicht gut genug. Damit ich liebenswert bin, muss ich mich anstrengen.“ Wir passen uns den Wünschen anderer an, um möglichst viel Ansehen zu erhalten. Wir dienen uns an mit übertriebener Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Es fällt uns schwer „nein“ zu sagen und unsere eigenen Bedürfnisse auszusprechen.

Die Sucht nach Bestätigung

Ebenso eint uns Menschen der Irrglaube, Ansehen durch das Erreichen von materiellem Wohlstand oder eines bestimmten Status zu erreichen. Aber alles Materielle ist vergänglich und verschwindet irgendwann, ohne dass wir Kontrolle darüber haben: Erfolg, Ruhm, Geld, Menschen, Beziehungen.

Zum Streben nach äußerer Anerkennung gesellt sich die Angst, diese nicht halten zu können. Auch wird nicht hinterfragt, wie lange die Wertschätzung von außen anhält und wie erfüllt diejenigen sind, die es vermeintlich „geschafft haben“.

Eine innere Leere lässt nach dem Erreichen des Ziels sofort den nächsten noch größeren Wunsch entstehen, dessen Erreichen uns endgültig glücklich machen soll. Statt der ersehnten Zufriedenheit entsteht ein nicht endender Teufelskreis des Verlangens. Der Mangel an Selbstliebe grassiert in der westlichen Welt wie eine Seuche und bedient wunderbarerweise den Konsum, denn wir versuchen uns zunehmend mit materiellen Gütern aufzuwerten.

Was können wir tun gegen das Gefühl, nicht gut genug zu sein?

Programmiere dein seelisches Betriebssystem um

Die tantrische non-dualistische Philosophie lehrt, dass sich höchstes Bewusstsein materialisiert, um sich ich seiner Vielfalt zu erfahren. Diese universelle, göttliche Kraft ist Fülle, Perfektion und Glückseligkeit. Sie ist allgegenwärtig – also in allem, was uns umgibt enthalten. Um an dem Spiel des Lebens (Lila) teilzuhaben, muss sich das Göttliche (Shiva) jedoch vollkommen in der Verkörperung unseres Universums (Shakti) verlieren. Aber es gibt auch Maya, eine Art Filter, der uns glauben lässt, dass wir nur unser „kleines Ich“ sind.

Stelle dir ein Polarmeer vor. Du siehst überall die Spitzen der Eisberge aus dem Wasser ragen. Aber eigentlich handelt es sich um eine riesige Eislandschaft, die unterhalb der Meeresoberfläche liegt. Die Meeresoberfläche ist Maya. Durch den Filter unserer Wahrnehmung erscheinen uns die Spitzen, als einzelne, voneinander getrennte Formen – als Du, ich und die anderen. Laut Tantra sind wir beides: sowohl die individuelle Spitze des Eisbergs als auch das große, zusammenhängende Eisgebirge unter dem Meeresspiegel. Der Schleier hebt sich, wenn eine spiegelglatte Meeresoberfläche uns auf den Grund schauen lässt. Dann erfahren wir Verbundenheit. Die vier psychischen Grundbedürfnisse entstehen, wenn wir im Filter unserer Wahrnehmung gefangen sind. Dann fühlen wir uns getrennt von der Fülle und Liebe des höchsten Bewusstseins. Es fehlt uns etwas!

Was wir wirklich brauchen: Verbundenheit und Selbstliebe

Yoga-Praktiken wie Innenschau, Meditation, Achtsamkeitsübungen und die yogische Philosophie helfen dir, an deine innere unerschöpfliche Quelle echter Selbstliebe und Wertschätzung zu gelangen. Mit einer regelmäßigen Praxis wirst du lernen, dass du nichts von anderen brauchst, weil du schon alles bist. Durch Selbsterkenntnis entsteht Selbstwert. Durch tiefe „Erkennung“ fühlst du dich verbunden.

Die wichtigste Bestätigung hast du bereits erhalten: von dem Leben, das du bist. Die universelle Kraft hat sich als „Du“ erschaffen und dadurch anerkannt, wie wertvoll du bist. Wärest du für das Leben nicht wichtig, würdest du nicht existieren. Deine Eltern haben nichts damit zu tun. Sie konnten nicht planen, dass genau du entstehst. Du bist hier, weil das höchste Bewusstsein das so wollte und das genügt. Wenn du weißt und fühlst, allein durch dein hier sein kostbar zu sein, bist nicht mehr darauf angewiesen, der Welt Liebe und Anerkennung abzuringen.

Wir sind beides: Individuen und Teile des Ganzen

Manchmal erfahren wir eine tiefe innere Verbundenheit und erkennen uns als die beständige Liebe des Lebens zu uns selbst. Dann wieder nehmen wir uns wieder als Einzelperson wahr und sind in unserem kleinen Selbst gefangen, das nach Anerkennung ringt.

Ich checke regelmäßig meine Likes und Follower auf Instagram und Facebook. Ich freue mich, wenn ich viele Klicks erhalte und bin frustriert, wenn ich Follower verliere. Die Erfinder dieser sozialen Netzwerke nutzen unser tief verankertes psychologisches Bedürfnis gesehen und anerkannt zu werden, um uns von ihren Produkten abhängig zu machen. Bisher habe ich mich oft über mich selbst geärgert, wenn ich mich dabei erwischt hatte. Inzwischen mache ich mir bewusst, dass ich gerade nicht mit dem Göttlichen in Verbindung stehe und nehme die Sehnsucht nach Ansehen weniger ernst. Ich weiß, es ist eine Phase, die vorübergeht. Mit ein paar bewussten Atemzügen komme ich zurück in den Flow. Ich überlege, was ich tun könnte, um in meine Mitte zu finden: ein Spaziergang, ein paar Yogaübungen, ein Sankalpa wie „Ich bin gut so, wie ich bin. Es gibt nichts hinzuzufügen oder wegzunehmen.“ Oder eine kurze Meditation.

Die folgende Meditation habe ich für dich aufgenommen, damit du dein dir innewohnendes göttliches Licht findest und so deinen Selbstwert stärkst.

(Claudia Dahnelt - Lotusblume Yoga & Ayurveda, Frankfurt, Dezember 2023)